Die Münchener Silberschmiedin Ursula Leitner kreiert kühl schimmerndes Tafelgerät
Am Anfang steht eine Vision: Mühsam, Stück für Stück nimmt das Metall von Hand geformt seine gedachte Form an. "Silber ist für mich das schönste Material, das es gibt", schwärmt Ursula Leitner. "Es reflektiert das Licht mehr als jedes andere Edelmetall und es ist so weich, dass man es wunderbar formen kann - und bleibt dabei trotzdem robust", erklärt die Silberschmiedin fast andächtig. Für die meisten ihrer Stücke glüht sie das Silber zunächst in einer Flamme weich und bearbeitet es anschließend mit dem Hammer. "Man muss mit Schwung, aber auch exakt arbeiten. Vor allem aber muss man Geduld haben. An meinen Stücken arbeite ich manchmal wochenlang.
Die Inspiration für ihre eleganten Tafelgeräte schöpft die Münchner Künstlerin aus dem Arbeitsprozess - im Dialog mit dem Silber. Dabei stellt sie sich den Herausforderungen des Materials. "Die Idee kommt bei mir eigentlich durch das Silber selbst. Mich fasziniert, dass man Silber immer wieder neu formen kann. Dadurch gibt es so viele Möglichkeiten", sagt sie. Ihre filigrane Klangschale zum Beispiel hat sie aus einem halben Kilobarren Feinsilber gearbeitet. Fast zwei Wochen lang wurde das 999er Silber alle halbe Stunde geglüht, dann gehämmert, wieder geglüht und wieder gehämmert und schließlich geschliffen. Mit einer Bürste gab sie der feinen Schale am Schluss den letzten Pfiff und den matt-silbrigen Glanz, der an sanftes, kühles Mondlicht erinnert. "Man benötigt viel Gefühl bei der Arbeit. Beim Hämmern achte ich außerdem sehr auf den richtigen Klang. Das hat schon etwas meditatives", meint Ursula Leitner.
An den Bauhaus-Stil der 20er-Jahre erinnern einige der edlen Kannen aus Leitners Kreativschmiede. Geometrische Grundformen wie Kugel, Zylinder, Kegel und Kreis geben den Ton an. Zum Beispiel die luxuriöse, massive Kakaokanne aus 925er Sterling-Silber mit einem Griff aus afrikanischem Edelholz. Welch Vergnügen, an einem Winterabend aus so einem schönen Unikat eine süße, heiße Schokolade zu genießen! Form und Funktion sind harmonisch aufeinander abgestimmt, und die Edelmetallkanne hält die Schokolade lange heiß. Drei Wochen hat die Münchnerin an diesem Werkstück gearbeitet. Ein zierliches Teekännchen aus hauchdünnem Silber, dessen Körper aus einem Stück getrieben ist, hat sogar noch mehr Zeit in Anspruch genommen. Kleine Unebenheiten und Dellen machen den Reiz des handgemachten Unikats aus - ein bezaubernder Hingucker und Handschmeichler! Kultiviertes Trinkvergnügen der besonderen Art bietet auch die grazile silberne Limoflasche mit zwei Bechern und Trinkröhrchen. "Irgendwann sitze ich mit George Clooney auf einer Hollywoodschaukel und trinke mit ihm Limonade aus dieser Flasche", sagt Leitner scherzhaft. Oder lieber Wein?
Auch dafür hat Leitner das passende Gefäß: Eine schlanke Weinkanne mit Deckel, die zwei Flaschen fasst, setzt einen edlen Tropfen auf der festlichen Tafel entsprechend in Szene.
Leitners Tafelgeräte sind Kunstgegenstände und Luxusprodukte in einem. Sie schmücken Tisch und Raum, können aber auch täglich benutzt werden. In Zeiten stilistischer Globalisierung hat Silber Aufwind, trotz steigender Preise für das Rohmaterial und trotz der hohen handwerklichen Kosten. Doch Silberschmiedeateliers sind selten geworden in Deutschland. Wer den Beruf erlernen will, muss meist bereit sein, seinen Wohnort zu verlassen. Der Unterschied zwischen Silber- und Goldschmieden besteht übrigens in den Dimensionen ihrer Werkstücke: Silberschmiede sind spezialisiert auf die Herstellung von Hohlkörpern, wie etwa wertvolles Tafelgeschirr für den weltlichen und kirchlichen Gebrauch.
Wie kam Ursula Leitner zu ihrem heute doch eher unpopulären Beruf? "Ich habe einen Bericht über einen Silberschmied im Fernsehen gesehen und wusste sofort, dass ich das machen möchte!", erklärt die Münchner Künstlerin. 1995 begann sie die dreijährige Ausbildung zur Silberschmiedin an der Staatlichen Berufsfachschule für Glas und Schmuck in Neugablonz. Es folgte ein Studium an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg in der Klasse für Gold- und Silberschmiede, wo sie 2002 zur Meisterschülerin avancierte. Während ihres Studiums gewann Leitner unter anderem einen Preis zum Thema "Besteck": Aus Silber goss die damalige Studentin ein dreiteiliges Fast-Food-Besteck für den anspruchsvollen Großstadtnomaden: Eislöffel, Stocher für Currywurst oder Pommes und ein Messer. Das Material Silber erhebt das Wegwerfbesteck in den Rang eines ständigen Begleiters - ein Beispiel für Leitners experimentellen und spielerischen Umgang mit dem Werkstoff Silber. Viele Kreationen spiegeln Ursula Leitners Sinn für Humor, so auch ihr von Hand hergestelltes Luxus-Lametta für den mondänen Weihnachtsbaum. Mit dem breiten Spektrum ihrer Werkstücke versucht Leitner, die Möglichkeiten ihres Handwerks auszuloten. Dabei löst sie die Grenzen auf zwischen Kunst und Handwerk, zwischen angewandter und reiner Kunst - und das auf besonders stilvolle Weise.
Annette Wild
Erschienen im Hotel Mosaik Ausgabe 53/2007